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Adenauer und das ,Narrativ der Mitte´

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Die Studie rekonstruiert die Entwicklung des historischen Narrativs Konrad Adenauers, das dieser in seiner öffentlichen Aussagen über den Nationalsozialismus und die Rolle der Deutsche  kommuniziert hat. Es kommt in der knappen Formel zum Ausdruck, dass die Untaten des NS-Regimes „nicht durch das deutsche Volk, aber im Namen des deutschen Volkes“ begangen worden seien. In diesen wenigen Worten verdichtet sich der inhaltliche Kern einer historischen Erzählung, die lange Zeit in der westdeutschen Politik Konsens war.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges stürzte die deutsche Gesellschaft in eine tiefe Identitätskrise. Der Untergang des Reiches, die Spaltung des Landes, die Städte in Trümmern, Millionen Gefallene und Vertriebene, das Wissen um die Verbrechen des Nazireiches, auf der anderen Seite Hass und Verachtung des Auslandes, – all das stellte die Deutschen vor die Frage, wer sie sind und was mit ihnen und ihrem Land werden soll. Vor diesem Hintergrund wird Konrad Adenauer zur wichtigsten politischen Bezugsfigur der westdeutschen Bevölkerung. Er griff das  allgemeine Gefühl der Deutschen auf, dass sie unter der Herrschaft der Nazis die Opfer politischer Krimineller geworden waren, so als habe das Regime sich nicht auf die weit verbreitere Zustimmung der Deutschen und ihre Bereitschaft mitzumachen, verlassen können. Dieses Narrativ kann als ,Narrativ der Mitte‘ insofern bezeichnet werden, als dass es dem Selbstverständnis breiter Teile der Nachkriegsgesellschaft entgegenkam. Adenauer nutzte die exkulpierende Formel von den Verbrechen, die nicht von den Deutschen, sondern nur in ihrem Namen begangen worden waren, um Deutschland von der Schande der Nazizeit zu befreien und seine historische Stellung als Großmacht wiederherzustellen.

Eine explizite und umfassende Analyse der Entwicklung von Adenauers Narrativ in Auseinandersetzung mit zentralen Reden über die gesamte Nachkriegszeit bis zu seinem Tode 1967 ist bisher nicht vorgelegt worden. Um eine sinnvolle Auswahl der Texte zu treffen, werden verteilt über den ganzen Zeitraum von zwanzig Jahren vier historische Schnittpunkte festgelegt, an denen Adenauers Haltung zur deutschen Vergangenheit in besonderer Weise deutlich wird, so dass es möglich ist, die Äußerungen in ihrem Gesamtverlauf zu rekonstruieren. Ausgewählt wurden die ersten zehn Monate nach Kriegsende 1945/46, in denen sich Adenauer deutlich zur Schuld des deutschen Volkes äußert. 1949 bis 1953, in seiner ersten Amtszeit als Bundeskanzlers, versucht Adenauer die Vergangenheit „abzuschließen“. Dazu werden seine erste Regierungserklärung 1949 und seine Wiedergutmachungspolitik untersucht. 1959/60 zwingt die Schändung jüdischer Einrichtungen Adenauer dazu, sich öffentlich zum Antisemitismus zu äußern. 1966 besucht der Altkanzler Israel. Die Reise dient der Bilanzierung seines Lebenswerks und gibt Einblicke in die Zusammenhänge seines Geschichtsnarrativs frei.

 

Veröffentlichung: Volker Wild and Jan Ferdinand: …Not by the German people, but in the name of the German people. Adenauer and the Narrative of the Centre Ground, in: Przegląd Zachodni 3 (372) 2019: 221-248. Der Volltext (auf Deutsch) kann hier abgerufen werden.

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